Landgericht Hamburg verurteilt niedergelassenen Arzt und Pharmareferentin wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung gem. § 299 StGB
Zweites Urteil in den Ratiopharm-Verfahren
Das Landgericht Hamburg hat einen niedergelassenen Vertragsarzt, der von einem Pharmahersteller umsatzabhängige Prämien für die Verordnung von Medikamenten erhalten haben soll, wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Gleichzeitig verurteilte das Landgericht die mitangeklagte Außendienstmitarbeiterin des Pharmakonzerns wegen Bestechung zu einer Geldstrafe von ebenfalls 90 Tagessätzen. Das Urteil vom 9.12.2010 (618 KLs 10/09) ist nicht rechtskräftig.
Der Vorwurf: Korruption
Der niedergelassene Vertragsarzt soll in den Jahren 2004 und 2005 Umsatzbeteiligungen in Höhe ca. 10.000 Euro eines großen Generikaherstellers für die Verschreibung von Präparaten des Herstellers entgegengenommen haben. Dabei sollen die Zahlungen nach außen als Honorare für Schulungen und Vorträge deklariert worden sein.
Das Landgericht (LG) Hamburg hat nun nach dem Amtsgericht (AG) Ulm, das am 26.10.2010 in einem gleich gelagerten Sachverhalt zwei Ärzte wegen Korruption verurteilt hatte, als zweites deutsches Gericht einen niedergelassenen Vertragsarzt wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit nach § 299 StGB verurteilt.
Bislang war es in der Praxis umstritten, ob sich niedergelassene Vertragsärzte (früher: Kassenärzte) wegen Korruptionshandlungen gem. § 299 StGB strafbar machen können. Denn § 299 StGB ist seinem Wortlaut nach zunächst nur auf angestellte Ärzte anwendbar. Niedergelassene Vertragsärzte sind jedoch Freiberufler. Allerdings kann sich auch der Betriebsinhaber nach § 299 StGB strafbar machen, wenn er „für einen anderen Betrieb“, also als Beauftragter tätig ist. Nachdem sich das OLG Braunschweig in einem Beschluss vom 23.2.2010 (Ws 17/10) hierzu geäußert und niedergelassene Vertragsärzte als „Beauftragte“ der Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB eingeordnet hatte, gehen derzeit immer mehr Staatsanwaltschaften dazu über, gegen niedergelassene Vertragsärzte und Pharma-Mitarbeiter wegen des Verdachts der Korruption nach § 299 StGB zu ermitteln.
Die Praxis
Verteidiger, Staatsanwälte, Verbandsjuristen streiten sich im Arztstrafrecht seit vielen Jahren darüber, ob ein niedergelassener Vertragsarzt überhaupt bestechlich sein kann. Die Literatur streitet ebenfalls über die strafrechtliche Relevanz der Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten und Pharmaherstellern (sog. Pharma-Marketing). Derzeit ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Verden Ermittlungsverfahren gegen 50 Ärzte und einen Pharmagroßhändler wegen des Verdachts der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 StGB eingeleitet hat. In Erfurt und Koblenz sollen Strafverfahren gegen Pharma-Referenten geführt werden. Die weitere Entwicklung in der Praxis bleibt spannend.
Doch nicht nur in der Rechtsprechung sondern auch das Parlament ist in Bewegung: Die SPD Fraktion hat am 10.11.2010 einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht (BT-Drucks. 17/3685), neue Straftatbestände zur Bestechung und Bestechlichkeit von niedergelassenen Vertragsärzten sowie einen neuen Betrugstatbestand einzuführen (vgl. „Neue Straftatbestände für Ärzte“).
Nun wird sich der BGH mit dem Urteil zu beschäftigen haben und möglicherweise ein erstes Grundsatzurteil fällen. Dies wird angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit mit Spannung erwartet, doch lässt ein aktuelles Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH Prof. Thomas Fischer nichts Erfreuliches für Ärzte und Pharmakonzerne erwarten. Denn Fischer ist klar der Meinung, dass ein niedergelassener Arzt als Beauftragter der Krankenkasse handelt und sich deshalb auch der Bestechlichkeit schuldig machen kann (Der Spiegel Nr. 44 - 2010, S. 86). Fischer gehört zwar nicht dem für das Hamburger Urteil zuständigen 5. Strafsenat des BGH an. Es ist aber zu erwarten, dass auch die zuständigen Richter des 5. Senats dieser Ansicht folgen werden.
Schließlich verstößt die Praxis, die den Urteilen zugrunde liegt gegen die ärztliche Berufsordnung, nach der es Ärzten nicht gestattet ist, für Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen.
Das Risiko für Ärzte und Pharmareferenten, in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten, ist damit hoch. Absprachen zwischen Vertragsärzten und der Pharmaindustrie, die bis vor kurzem noch gängige Praxis waren, können nun die Strafverfolgung begründen. Doch selbst wenn die Urteile rechtskräftig werden sollten, bedeutet dies noch nicht das Ende jeglicher Zusammenarbeit. Die Orientierung an den strengen Grundsätzen und Verhaltensrichtlinien bzw. -kodizes, die für die Zusammenarbeit der Pharma- und Medizinprodukteindustrie und der Ärzte in Kliniken entwickelt wurden, ermöglicht auch in Zukunft Kooperationen.
Der Große Senat für Strafsachen hat mittlerweile am 29.03.2012 entschieden, dass sich Kassenärzte nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen (GSSt 2/11).
Quelle: Hamburger Abendblatt, Deutsches Ärzteblatt 2010, S. 2214, Der Spiegel Nr. 44, S. 85 f.
notiert von Auffermann
12/2010